1. Rechtslage in Bezug auf die zusätzlichen Betreuungs- und Entlastungsleistungen nach § 45 b SGB XI und das Verhältnis zu den Leistungen der Hilfe zur Pflege nach den §§ 61 ff. SGB XII
Die Pflegekassen stellen Versicherten, bei denen auf Grund einer vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) festgestellten eingeschränkten Alltagskompetenz ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung gegeben ist (Personen mit demenzbedingten Fähigkeitsstörungen, geistigen Behinderungen oder psychischen Erkrankungen), nach § 45 b SGB XI auch ohne Pflegestufe zusätzliche Leistungsbeträge in Höhe von 104 oder 208 Euro monatlich für Betreuungs- und Entlastungsangebote zur Verfügung. Pflegebedürftige mit somatischen Erkrankungen erhalten ebenfalls 104 Euro für diese Angebote; sie müssen jedoch wenigstens die Voraussetzungen für die Pflegestufe I erfüllen.
Mit den zusätzlichen Leistungsbeträgen können qualitätsgesicherte Angebote der Betreuung oder Entlastung eingekauft werden. Betreuungsangebote beinhalten die sogenannte allgemeine Betreuung der Leistungsberechtigten, die unabhängig von den Verrichtungen des täglichen Lebens erfolgt. Die Entlastung beinhaltet daneben insbesondere Dienstleistungen zur Unterstützung im Haushalt, zur Unterstützung bei der Bewältigung von allgemeinen oder pflegebedingten Anforderungen des Alltags, zur Unterstützung bei der Organisation der benötigten Hilfen sowie zur Entlastung von Angehörigen und anderen nahestehenden Personen. Die Angebote, insbesondere die anerkannten niedrigschwelligen nach § 45b Absatz 1 Satz 6 Nummer 4 SGB XI, können sowohl allgemeine Beaufsichtigung und Betreuung als auch Entlastung beinhalten.
Die Angebote sollen für die Leistungsberechtigten, die aufgrund nachlassender eigener Ressourcen und in Ermangelung eines unterstützenden sozialen Netzwerkes die Anforderungen des täglichen Lebens nicht mehr bewältigen können, eine Verbesserung der Versorgungssituation bewirken.
Nach der Gesetzesbegründung zu § 45 b SGB XI des Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetzes (PflEG ) vom 14.12.2001 (BT-Drs. 14/6949, Seite 15 ) ist „dieser Zuschuss als eine neue Hilfe/Leistung im Recht der Pflegeversicherung definiert, die neben der Pflegeleistung gewährt wird. Bei den Leistungen nach § 45 b handelt sich daher nicht um gleichartige Leistungen im Rahmen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII, insofern kann auch keine Leistungskonkurrenz zwischen der neuen Leistung nach § 45 b und den Leistungen nach dem SGB XII bestehen.“
Der Gesetzgeber hat entsprechend in § 13 Absatz 3 a SGB XI bestimmt, dass die Leistungsbeträge nach § 45 b SGB XI bei Fürsorgeleistungen zur Pflege keine Berücksichtigung finden.
Das Sozialgericht Berlin hat dies in seinem Urteil vom 13.09.2010 (S 90 SO 3040/09) bestätigt und festgestellt, dass § 13 Absatz 3a SGB XI eine Spezialvorschrift im Hinblick auf die Leistungen nach § 45 b SGB XI darstellt, deren Regelungsgehalt bei einer einschränkenden Auslegung vollkommen entfallen würde.
2. Verfahrensregelung für die Bewilligung von entsprechenden Leistungen nach den §§ 61 ff. SGB XII
Die mit den zusätzlichen Leistungen nach § 45b SGB XI abzudeckenden Bedarfe werden vom Träger der Sozialhilfe im Einzelfall bereits im Rahmen der Hilfe zur Pflege abgedeckt. Hintergrund ist der erweiterte Pflegebedürftigkeitsbegriff in § 61 Absatz 1 Satz 2 SGB XII , der den Betroffenen einen Anspruch auf Hilfe zur Pflege auch im Zusammenhang mit anderen als den in der Pflegeversicherung berücksichtigten Verrichtungen einräumt. Die Regelung ist Ausfluss des in der Sozialhilfe grundlegenden Bedarfsdeckungsprinzips.
Im Rahmen der individuellen ambulanten Pflegegesamtplanung (IAP) haben die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Pflegebedarfsermittlungsdienstes daher darauf hinzuwirken, dass entsprechende Bedarfe gegebenenfalls zunächst über die qualitätsgesicherten Angebote der Betreuung oder Entlastung nach § 45 b SGB XI abgedeckt werden. Nimmt der Leistungsberechtigte diese Angebote nicht in Anspruch, ist die Sozialhilfe-Leistung am unabdingbar notwendigen Umfang auszurichten.
Grundsätzlich darf die Leistungsgewährung nach dem SGB XII jedoch nicht von der Inanspruchnahme der qualitätsgesicherten Angebote der Betreuung oder Entlastung nach § 45 b SGB XI abhängig gemacht werden. Ebenso darf die Hilfegewährung nicht davon abhängig gemacht werden, dass mit den Angeboten bestimmte Bedarfe abgedeckt werden, beispielsweise ein Entlastungsangebot zur Unterstützung im Haushalt wahrgenommen wird.
Dabei hat der Leistungsberechtigte auch die Wahl, welches qualitätsgesicherte Hilfeangebot (niedrigschwelliges Betreuungs- oder Entlastungsangebot, Tagespflege, Kurzzeitpflege oder besonderes Angebot eines zugelassenen Pflegedienstes) er wahrnehmen möchte.
Entscheidend für die Befürwortung und Bewilligung von Leistungen zu Lasten des Sozialhilfeträgers ist grundsätzlich die individuelle Versorgungssituation wie sie sich dem Sozialhilfeträger jeweils darstellt. Dabei ist eine Überversorgung ist zu vermeiden.
Auf keinen Fal l dürfen die zusätzlichen Leistungsbeträge nach § 45b SGB XI auf die Fürsorgeleistungen nach dem SGB XII angerechnet werden, da diese erst nach Inanspruchnahme der entsprechenden Angebote der Betreuung oder Entlastung im Rahmen der Kostenerstattung ausgezahlt werden (modifizierte Sachleistung).
Hinweis: Die zusätzlichen Betreuungs- und Entlastungsleistungen nach § 45 b SGB XI können auch zur Finanzierung von Unterkunft und Verpflegung (soweit nicht als häusliche Ersparnis von dem oder der Betroffenen selbst zu zahlen) sowie Investitionskosten in Einrichtungen der Tages- und Kurzzeitpflege eingesetzt werden.
3. Besonderheiten bei Leistungen der allgemeinen Beaufsichtigung und Betreuung nach den §§ 61 ff. SGB XII
Leistungen des Sozialhilfeträgers, die ebenfalls der allgemeinen Beaufsichtigung und Betreuung sowie der Anleitung und Aktivierung dienen, insbesondere die Leistungskomplexe 31 und 33, ggf. auch der LK 20, kommen in der Regel nur für Personen mit einer eingeschränkten Alltagskompetenz in Betracht. Hierfür ist es ausreichend, wenn unter Punkt 3.4 des MDK-Formulargutachtens (Screening zu den Angaben unter Schädigungen/Beeinträchtigungen – Punkt 3.2 –) aus einer festgestellten Auffälligkeit ein dauerhafter Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf resultiert.
Bei Nichtversicherten bzw. bei Versicherten, die die Vorversicherungszeiten nicht erfüllt haben, hat der Bezirk anhand der genannten Kriterien des MDK-Formulargutachtens durch eine geeignete Gutachtenstelle die Feststellung zu treffen, ob ein allgemeiner Beaufsichtigungs- und Betreuungsbedarf besteht.
Die Gewährung der Leistungskomplexe 31, 33 und/oder 20 kann auch dann in Betracht kommen, wenn die häusliche Hilfe erst durch Betreuung und Kommunikation zur Überwindung von Antriebslosigkeit und Depressionen ermöglicht wird sowie eine Therapie oder eine Maßnahme der Eingliederungshilfe nicht möglich ist.
Für den LK 20, der den § 124 SGB XI (Häusliche Betreuung) umsetzt, gelten diese Aussagen nicht, wenn er seitens der Pflegekasse bewilligt worden ist und der Sozialhilfeträger die Leistungen nur hinsichtlich des Umfangs ergänzt. Hierfür müssen allerdings die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung sichergestellt sein (§ 124 Abs. 3 SGB XI).
4. Niedrigschwellige Betreuungs- und Entlastungsangebote nach § 45 b Absatz 1 Satz 6 Nummer 4 SGB XI
Der im Rahmen der IAP festgestellte notwendige Bedarf kann zu Lasten der Hilfe zur Pflege statt durch Pflege- und Betreuungsdienste auch durch niedrigschwellige Betreuungs- oder Entlastungsangebote gemäß § 45 b Absatz 1 Satz 6 Nummer 4 SGB XI abgedeckt werden (§ 65 Absatz 1 Satz 2 SGB XII). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Entgelte von dem Leistungsberechtigten zu bezahlen, und die entstandenen Kosten anschließend zu erstatten sind. Die Leistungen sind im Verfahren OPEN/PROSOZ unter „Besondere Pflegekraft“ (Titel 68128-518/618/718/818) zu buchen.
Im Pflegeportal des Landes Berlin finden Sie eine Liste der anerkannten niedrigschwelligen Betreuungs- und Entlastungsangebote .
Keinesfalls gehören die in § 45b SGB XI genannten Leistungs beträge zum Leistungsspektrum der Hilfe zur Pflege.